Olga unterwegs: Im Interview mit Dora Heldt

Betritt man unser Verlagsgebäude ist Olga Tsitiridous Gesicht das Erste, das einem vom Empfang entgegenstrahlt. Für uns lässt Olga aber immer wieder ihren Schreibtisch zurück und macht sich auf die Suche nach neuen, spannenden Stories über alles, was ein Bücherherz bewegt. Dora Heldt spricht im Interview über das Wesen echter Freundschaft, über ihre Protagonistinnen Alex, Jule und Friederike und darüber, dass es im Leben nie zu spät ist für wichtige Veränderungen.

Echte Freundschaft basiert für mich auf absoluter Verlässlichkeit. Und großem Vertrauen.


Olga Tsitiridou (dtv): Liebe Dora, in Deinem neuen Buch ›Drei Frauen, vier Leben‹ spielt der Umgang mit Erinnerungen eine große Rolle. Manchmal ist es ja so, dass sogar schöne Erinnerungen uns traurig machen können. Vergessen ist aber auch keine Lösung.

Dora Heldt: Es kommt wirklich auf die Erinnerungen an. Manche sind so schön, dass man gern an sie denkt und sie zum Leben gehören. Meistens haben diese ja auch etwas bewirkt oder ausgelöst. Aber andere können auch den Blick für neue Dinge versperren oder uns davon abhalten, sie zu beginnen. Wenn man alten Zeiten oder bestimmten Menschen so sehr hinterher trauert, dass es einem die Luft nimmt, dann sollte man daran arbeiten, loszulassen. Auch wenn es schwer ist.

Wenn das nur immer so einfach wäre … Haben Deine Protagonistinnen Alex, Jule und Friederike die ganze Zeit im Hintergrund – und in Dir – weitergelebt, bis Du beschlossen hast, ihre Geschichte weiterzuschreiben?

Ja, sie waren tatsächlich noch im Kopf, auch weil ich schon eine Fortsetzung angefangen hatte, die ich aber nach 80 Seiten wieder zur Seite gelegt und später sogar gelöscht habe. Ich fand es zu langweilig. Und ich hatte zu wenig Bilder im Kopf. Stattdessen habe ich dann Mathilda erfunden und bin im Geist für eine Zeitlang in ein etwas schräges Dorf gegangen. Erst danach hatte ich wieder Lust und inzwischen war genug in mir und im Haus am See passiert, dass es dann ging. Plötzlich waren die Frauen wieder lebendig und ich wusste, was bei ihnen alles passierte. Und warum. Und wie.

Was macht denn eine echte Freundschaft für Dich aus? Und muss es denn immer etwas für die Ewigkeit sein?

Echte Freundschaft basiert für mich auf absoluter Verlässlichkeit. Und großem Vertrauen. Und nein, ich glaube nicht, dass es für die Ewigkeit sein muss, manche Freundschaften haben ihre Zeiten, sie waren vielleicht an bestimmte Lebensumstände gebunden, haben auf Gemeinsamkeiten basiert, die es dann später nicht mehr gibt. Das ist dann so. Dann gehören sie zu den guten Erinnerungen, haben aber mit dem jetzigen Leben nicht mehr viel zu tun. Andere enden im Streit oder durch Vertrauensbrüche, dann ist das traurig, manchmal verletzend, aber dann war es selten eine echte Freundschaft. Manchmal schätzt man Menschen auch falsch ein. Das passiert. Dann muss man loslassen.

Alex, Jule und Friederike sind aber auch deshalb so toll, weil sie ihrem Leben eine neue Wendung geben, obwohl in manchen Momenten alles schwierig und ausweglos erscheint. Dem Leben eine neue Wendung geben … keine Frage des Alters, oder?

Ach, ich glaube, es gibt auch mit 35 schon Menschen, die sich nicht mehr neu erfinden wollen. Neu erfinden bedeutet ja auch immer, sich auf Veränderungen einzulassen, aus den bequemen Gewohnheiten und dem geübten Alltag rauszugehen, das mögen viele nicht. Ich kenne einige, die mit Mitte 60 nochmal ganz andere Dinge begonnen haben, die sich auf die Zeit gefreut haben, in der sie nicht mehr von Job, Terminen und Zwängen bestimmt werden. Und die mehr Neugier und Energie haben, als einige viel Jüngere. Ob Gästeführungen, Reisen, ehrenamtliche Tätigkeiten, sie machen lauter Dinge, bei denen sie sich auch ein bisschen neu erfinden musst. Wenn man will, geht das. Auch lange.

Hätten sie es eigentlich auch ohne einander geschafft? Ich meine jede für sich ist ja eine starke Persönlichkeit.

Vermutlich hätten sie es auch ohne einander geschafft. Aber nicht so leicht. Wenn man selbst vor großen Entscheidungen steht, hilft es natürlich sehr, wenn es Wegbegleiter gibt, die einen gut kennen, denen man sehr vertraut und deren Hilfestellungen oder Ratschläge man annehmen kann. Es gibt eine gewisse Sicherheit. So ein kleines Netz unter dem Trapez.

Warum ist Friederike denn so ungeduldig mit ihrer dementen Mutter? Letztere mag ja vielleicht nicht so einfach sein. Aber irgendwie tut mir die alte Dame doch etwas leid.

Tja, Friederike und ihre Mutter … Zum einen hatten die beiden nie ein gutes Verhältnis miteinander, was auch der spröden Art der Mutter geschuldet war. Und einigen anderen Ereignissen der Vergangenheit. Und dann kommt noch etwas dazu, das ich auch schon an mir, aber auch an anderen Freundinnen bemerkt habe. Man will nicht, dass die Eltern sich verändern, sie waren die größte Konstante im Leben, jetzt plötzlich werden sie unsicher, hilfebedürftig, verwirrt, können keine Fragen mehr beantworten, sind nicht mehr die Helden. Das empfinden viele als ungerecht, falsch, es macht sie wütend, ungeduldig, traurig. Man verabschiedet sich von seiner Kindheit, man ist jetzt endgültig erwachsen, man muss die Verantwortung übernehmen und man muss endgültig begreifen, dass das Leben endlich ist.

An einer Stelle sagt Alexandra zu Friederike, sie sei ein hervorragendes Beispiel für die Theorie, dass einem bei anderen genau die Fehler auffallen, die man selbst ständig begeht. Und Friederike kontert wiederum, dass ihre Freundin den wichtigen Themen ausweicht, zum Beispiel der Frage, warum sie ihre ganzen Erinnerungen wegwirft. Wie wichtig ist denn Harmonie in Freundschaften?

Harmonie in einer Freundschaft bedeutet ja keinesfalls, dass man nicht verschiedener Meinung sein darf. Ganz im Gegenteil. Es hilft mir doch bei Entscheidungen nicht, wenn mein Gegenüber genauso denkt wie ich, ich brauche doch auch eine andere Sichtweise. Stille Harmonie mag ich nur bei gemeinsamen Saunatagen oder Kurzurlauben. Ansonsten diskutiere ich gern.

Am 20.10.2021 erscheint Dein Buch ›Geld oder Lebkuchen‹. Müssen wir uns um den Weihnachtsmann und die Sternsinger Sorgen machen? Der Titel hört sich irgendwie bedrohlich an.

Natürlich muss niemand sich um den Weihnachtsmann Sorgen machen. Ich hänge an ihm, er ist immer der Gute und nur im Auftrag der wirklich guten Sache unterwegs. Und ein Happy End für alle gibt es natürlich auch. Ist ja schließlich Weihnachten, das Fest der Liebe und der Kinder!

Du schreibst Bücher, Kolumnen, machst für dtv einen Podcast und und und. Wie schaffst Du das alles? Gibt es auch Tage, in denen Du gar nichts machst? Wie sieht denn „gar nichts“ bei Dora Heldt aus?

Ich nehme mir vor, zu einer bestimmten Zeit am Schreibtisch zu sitzen, das klappt mal gut, mal schlecht, aber der Wille ist da. Gar nichts zu tun, finde ich schwierig, für mich besteht der Luxus darin, morgens noch nicht zu wissen, was ich später mache, weil ich erstmal warte, wie das Wetter wird. Das finde ich schön.

Könnte es auch mal ein Buch mit dem Titel ›Drei Männer am See‹ geben?

Höchstens als Krimi oder Komödie, ich kann als Frau nicht aus der Innensicht von Männern schreiben. Und möchte es auch gar nicht versuchen.

Was bedeutet Schreiben für Dich?

Jedes Mal eine Herausforderung. Und immer noch eine Menge Spaß.

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